_ St. Pölten-Viehofen

Während des Zweiten Weltkriegs bestanden in St. Pölten zwei Zwangsarbeitslager an drei Standorten in bzw. nahe der Viehofner Au. Auf dem Gelände des heute beliebten Viehofner Badesees befand sich zwischen Juli 1944 und April 1945 ein Lager für jüdische ZwangsarbeiterInnen aus Ungarn.
Während des Zweiten Weltkriegs bestanden in St. Pölten zwei Zwangsarbeitslager an drei Standorten in bzw. nahe der Viehofner Au. Auf dem Gelände des heute beliebten Viehofner Badesees befand sich zwischen Juli 1944 und April 1945 ein Lager für jüdische ZwangsarbeiterInnen aus Ungarn. Die dort internierten rund 180 Männer, Frauen und Kinder waren in drei Baracken untergebracht. Die Erwachsenen mussten bei der Regulierung des Traisen-Flusses – bei der Schottergewinnung und dem Böschungsbau – schwere körperliche Arbeit verrichten. Die Kinder wurden für im Lager anfallende Arbeiten eingesetzt. Die unzureichende Ernährung, mangelnde Hygiene und Erschöpfung führten zu zahlreichen Todesfällen. Acht Opfer sind bisher namentlich bekannt. Sie wurden gemeinsam mit den Opfern des nicht-jüdischen ZwangsarbeiterInnen des benachbarten Lagers der St. Pöltner Glanzstofffabrik sowie mit Kriegs- bzw. Strafgefangenen und Bombenopfern in einem anonymen Massengrab am Friedhof der Stadt begraben. Anfang April 1945 wurde das Lager aufgelöst und die SS trieb die ZwangsarbeiterInnen in einem sogenannten Todesmarsch Richtung Mauthausen.

Zwangsarbeit an mehreren Standorten und deren Nachnutzung
Südlich des Lagers für ungarisch jüdische ZwangsarbeiterInnen befand sich bereits ab 1942 ein weiteres Lager für sogenannte "Ostarbeiter" – ZwangsarbeiterInnen aus der Ukraine, die in der Glanzstoff-Fabrik St. Pölten in der Produktion (u.a. von Fallschirmseide) zur Arbeit gezwungen wurden.
Die Geschichte beider Lager – vor allem das der nicht-jüdischen ZwangsarbeiterInnen – ist bis heute wenig bekannt und unzureichend erforscht. 2017 und 2018 wurden von der Stadt St. Pölten beauftragte archäologische Untersuchungen an einem der Standorte – östlich des ehemaligen Glanzstoffareals –
durchgeführt, an dem in den 1940er-Jahren jene Baracken standen, in denen die ZwangsarbeiterInnen der Glanzstofffabrik untergebracht waren. Auf diesem Gelände soll in naher Zukunft ein Wohnbauprojekt entstehen.

Zwischen 1966 und 1985 entstand im Augebiet auf dem Areal des Lagers für ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen durch die kommerzielle Gewinnung von Sand und Schotter der so genannte Paderta-See (heute Viehofner See) mit einer Fläche von 19,8 Hektar und einer maximalen Tiefe von sechs Metern. Im Jahre 2003 erwarb die Stadt St. Pölten das gesamte Areal. Seit 2005 wird das Gebiet als Naherholungsgebiet genutzt.

Späte Bewusstmachung: Ein Brief und 20.000 Postkarten
In den 1990ern recherchierte der St. Pöltner Lokalhistoriker Manfred Wieninger erstmals die Geschichte des Lagers für ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen. Er führte einige Interviews mit ZeitzeugInnen, die Erinnerungen an die Häftlinge und das Lager hatten und nahm Kontakt mit Überlebenden und deren Familien auf.
Angestoßen durch einen Brief der Überlebenden Roszi Wolf im Jahr 1997 begann sich auch die Stadt St. Pölten mit Möglichkeiten der öffentlichen Bewusstmachung der Existenz der Lager zur Zeit des Nationalsozialismus zu befassen. Gemeinsam mit dem Land Niederösterreich wurde ein Wettbewerb für ein künstlerisches Mahnmal ausgeschrieben, aus dem zwei Projekte realisiert wurden. Die "Orientierungstafeln" der Künstlerin Catrin Bolt bieten am Viehofner See bis heute den einzigen physischen Hinweis auf die verbrecherische Nutzung des Areals, das heute als Freizeitoase für viele St. PölterInnen dient. In einer zweiten künstlerischen Intervention wählte die Künstlerin Tatiana Lecomte einen ungewöhnlichen Zugang, die Bevölkerung der Landeshauptstadt auf die Geschichte des heutigen Erholungsgebietes aufmerksam zu machen. Sie schrieb eigenhändig 20.000 Postkarten, die auf die Geschehnisse verwiesen. Eine teilweise umstrittene Aktion, die bis heute vielen BürgerInnen in Erinnerung geblieben ist.
 
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